Vor ein paar Wochen traf ich den Bruder einer damaligen Schulfreundin auf einer Party wieder. Wir kamen ins Gespräch und landeten irgendwann beim Thema Yoga. Er erzählte mir, dass er mal für ein paar Wochen regelmäßig ein Yogastudio besuchte, aber jetzt lieber Crossfit mache, um fit zu bleiben, weil diese „Fuß-hinter-Kopf-Geschichten“ nichts für ihn seien. Wenn ich Leuten und insbesondere Männern erzähle, was ich beruflich mache, kommt früher oder später immer wieder der Satz: „Ich bin nicht flexibel genug, um Yoga zu machen.“ Hat Yoga wirklich nur mit Flexibilität zu tun? Und ist es nur für all die geeignet, die Bock auf betreutes Dehnen haben und dabei eine gute Figur machen wollen? Natürlich nicht, aber lest selbst!
Social Media und die Yoga Popkultur
Verfolgt man die Yogastars der internationalen Yogaszene, so scheint es fast ein Kult zu sein sich für Instagram und Co in komplexen Yogapositionen (Asanas) vor traumhaftem Hintergrund ablichten zu lassen. Nicht selten findet man hier Füße hinter Köpfen oder schlichtweg Yogapositionen, die für „normale“ Menschen nicht mal vorstellbar sind. Unsere westliche Welt hat seine Eigendynamik, wenn es darum geht Yoga zu interpretieren. Spagat, Handstand, extreme Hüftöffnungen oder Armbalancen sind die ersten Assoziationen, wenn wir mit dem Wort Yoga in Kontakt kommen. Dabei geht es im Grunde, um etwas ganz anderes als um Knackärsche und Posen:
„Yoga is a work in, it’s not s work-out.“ – Indra Mohan
Vom Körper zum Geist, vom Groben zum Feinen
Der Yoga passt sich dem Menschen an und nicht der Mensch dem Yoga. Daher brauchen wir in unserer materialistischen Welt einen körperbezogeneren Zugang, um unseren rastlosen Geist erst einmal mit Asanas zu bändigen. Hierbei erreicht der Yoga auch Zielgruppen, für die das Esoterische nichts ist. Bikramyoga oder Poweryoga, bei denen es ohne „Om“ direkt körperlich und schwitzend zur Sache geht, bieten spirituell-kritischen Menschen daher einen ersten Zugang. Es gibt so viele unterschiedliche Yogastile und Lehrer, die alle ihre Daseinsberechtigung und ihre Zielgruppen haben.
Ich arbeite beispielsweise in einem Hotyoga und Vinyasayoga Studio und kann immer wieder beobachten, wie doch einige eher sportlich orientierte Hotyogis irgendwann in einer Vinyasa Klasse landen und vom „esoterischen Om“ am Ende doch nicht mehr so abgeschreckt sind, weil sie das gute Gefühl am Ende der Stunde mit nach Hause nehmen. Ob sie am Ende mit traditionellem Rajayoga in Meditation versinken und Samadhi sprich Erleuchtung erleben, sei dahin gestellt. Darum geht’s auch nicht. Ein körperorientierter Zugang zu Yoga hat also genauso seine Berechtigung, wie alle spirituelleren Stile. Denn Yoga wirkt, und das nicht nur auf der physischen Ebene.
Yoga ist, was du nicht siehst. Die kraftvolle Körperarbeit des Hatha Yoga ist nur die Oberfläche eines internalen, spirituellen Weges. –Ronald Steiner
Yogis ohne Grenzen?!
Im Laufe der Yogapraxis entsteht auf natürliche Weise eine gewisse Flexibilität im Körper. Doch brauchen wir immer wieder die Balance zwischen den Extremen. Körperlich flexibel und offen zu sein, geht häufig auf Kosten der Stabilität und Festigkeit. Je mehr Bewegungsspielraum im Körper vorhanden ist, umso essentieller wird auch der Aspekt der Kraft und Stabilität. Fraglich ist mit fortschreitender Yogapraxis definitiv, wie viel Bewegungsspielraum auf Dauer wirklich gesund ist. Es gibt Yogastile, in denen intensive Hands-On Adjustments und der stetige Progress in der Asanapraxis kaum wegzudenken sind. Auch wenn es sich für den Moment gut anfühlen kann, durch den Lehrer weiter in eine Asana hineingebracht zu werden, kann der Körper durch zu viel Flexibilität mit der Zeit eher destabilisiert werden.
Je nach körperlicher Konstitution brauchen wir Flexibilität bzw. Stabilität in einem unterschiedlichen Maße. Während ein muskulöser Surfer beispielsweise besser in Yin Yoga Stunden aufgehoben ist, in denen restaurative Asanas länger gehalten werden, braucht eine flexiblere Tänzerin hingegen vor allem kraftvolle Sequenzen, die genau die Bereiche ihres Körpers stabilisieren, die mehr Bewegungsspielraum haben. Es kann daher auch für viele Yogis sinnvoll sein, nicht mehr bis an die Grenzen des Bewegungsspielraums zu gehen und auch nicht bis an diese Grenzen hinein adjusted zu werden. Ein erfahrender Yogalehrer sieht, wann die Beweglichkeit auf Kosten der korrekten Ausrichtung des Körpers geht und holt seine Schüler wieder aus einer Asana heraus.
Eine Yogaposition sollte immer gemütlich und stabil zugleich sein
Patanjali beschreibt im Yogasutra 2.46 die Qualität einer Asana als bequem und fest zugleich: Yoga bringt demnach, wenn es nach diesem Prinzip praktiziert und unterrichtet wird, sowohl Flexibilität und Raum als auch Kraft und Stabilität in den Körper. Je nach physischer Predisposition kann daher eine speziell angepasste Yogapraxis, die diese beiden Prinzipien harmonisiert, für den Praktizierenden sinnvoll sein. Ziel des Yoga ist daher nie die grenzenlose Flexibilität, sondern vielmehr ein gesunder, kraftvoller und dennoch offener Körper, der durch den Atem vitalisiert wird. Auch wenn uns im Westen immer so wichtig zu sein scheint, wie die Dinge von Außen aussehen, geht’s doch mehr darum, wie sie sich von innen anfühlen und das vor allem nicht nur während der Yogastunde, sondern auch danach.
Es geht nicht um die Form, sondern um den Inhalt
Unsere westliche Kultur ist zu einem gewissen Maße besessen von der äußerlichen Form und hat zunächst den körperlichen Aspekt des Yoga im Fokus. Durch unsere Yogapraxis können wir Schritt für Schritt unsere Aufmerksamkeit wieder mehr nach Innen richten. Ich selbst erwische mich manchmal dabei, wie ich äußeren Maßstäben hinterherjage und vor Instagrammbildern mit perfekten Körpern und Yogaposen hängenbleibe. Mein Ego will auch so sein, wie die da, und sofort werde ich mit meiner eigenen Oberflächlichkeit konfrontiert. In diesem Momenten darf auch ich mich wieder sanftmütig daran erinnern, worum es beim Yoga eigentlich geht.
Das Ziel von Yoga ist nicht die grenzenlose Flexibilität oder das Erzielen von Asanas. Es geht nicht um die Form, sondern eben um das was dahinter steckt. Indra Mohan beschreibt dieses Ziel als „sattvic state“, wobei mit dem Wort sattvic/sattva Reinheit verstanden wird:
„A sattvic state is one in which we feel light in the body and clear and bride in the mind.“ –Indra Mohan
Be – Here – Now
Unsere westliche Interpretation von Yoga wird dem eigentlichen Sinn und Zweck dieses uralten Systems nicht immer gerecht. Wir können uns noch so perfekt in einer „Fuß-hinter-Kopf Geschichte“ positionieren und gleichzeitig vom Strom unserer Gedanken mitgerissen werden und das eigentliche Ziel um Meilen verfehlen. Auch Patanjali beschreibt Yoga in Sutra 1.2 als
„jene[n] innere[n] Zustand, in dem die seelisch-geistigen Vorgänge zur Ruhe kommen.“
Entscheidend für den Fortschritt innerhalb des Yoga, ist daher nicht die physische Praxis, sondern die Qualität der Aufmerksamkeit während des Übens.
Die coolsten Yogis sind nicht die, die die Asana perfekt ausführen, sondern die, die genau zuhören und präsent sind und zwar in jedem Augenblick der Yogapraxis! – Sybille Schlegel
Je mehr wir mit Hilfe des Atems während des Praktizierens präsent sind und von Augenblick zu Augenblick fließen, umso mehr offenbart sich uns im Laufe der Zeit das Wirkungspotenzial des Yoga. Wir werden gelassener, konzentrierter und leben mehr im Moment. Durch das Beobachten der inneren Prozesse, werden wir weniger von ihnen in Mitleidenschaft gezogen und fühlen uns schlichtweg wohler in unserer Haut. Auch wenn Handstände und Knackärsche ein netter Nebeneffekt sind, ist uns das am Ende doch gar nicht mehr so wichtig, weil wir uns im besten Fall mit dem, was in jedem Augenblick ist, bereits gut fühlen.
Falls du doch noch über Instagram Yogaposen nachdenkst, hier ein „ultraspirituelles“ Tutorial „How to Take Yoga Photos for Instagram“
Enjoy 😉
1 Kommentare