Dirty Shadows – Veganism for Life?

photocredit: adamara @ unsplash

Ich habe wirklich lange überlegt, ob ich meine Schattenseiten preisgebe oder nicht. Schließlich sind es genau diese, die ich so gerne unter den Teppich kehren würde und die nicht so ganz zu meinem idealisierten Yogalehrer-Image passen. Aber nach dem letzten Artikel „Warum auch Yogis einen Schatten haben“, kann ich einfach nicht anders, als hier einen kleinen Seelenstripteese abzulegen. Immerhin verbergen sich hinter unseren düsteren Seiten meistens auch unsere größten Schätze.

Toleranz ist ein Segen, wenn man es wirklich fühlt…

Eigentlich sollte es ein wundervoller Familientag werden. Mein Freund und ich hatten uns mit unseren Eltern verabredet, um den zweiten Advent zusammen zu verbringen. Alles lief wunderbar, bis die Mama meines Freundes das Abendessen auftischte. Man muss dazu sagen, dass wir uns seit vielen Jahren bereits vegetarisch bzw. vegan ernährten. Mein Freund hatte irgendwann wieder Lust auf Eier gehabt und immer mal wieder Ausnahmen gemacht. Sein Körper verlangte einfach nach tierischen Produkten. Bei mir war das anders. Ich hatte mich so sehr mit diesem Veganismus-Thema beschäftigt und mich immer mehr davon überzeugt, wie nachhaltig und bewusst ein veganer Lebensstil war. Auch wenn ich zwischendurch immer mal wieder Honig ass, konnte ich mir nicht mehr vorstellen tierische Produkte zu konsumieren. Ich hatte meine Familie zwar über einige meiner Beweggründe aufgeklärt, aber Fleisch war einfach immer schon ein Teil unserer Esskultur. Daher hatte ich auch nicht mehr den Anspruch mit meiner Familie über meine kulinarischen Vorlieben zu diskutieren. Unsere Familien akzeptierten das zwar und gaben sich immer Mühe, wenn wir zum Essen kamen, aber dennoch konnten sie es nie ganz nachvollziehen, wieso wir so lebten. Irgendwann kam dann abends dieser Schinken auf den Tisch. Ich kann das gut tolerieren, empfand mich selbst immer als sehr offen: Leben und leben lassen, sagte ich mir selber. Wer mich fragte, der bekam Antworten, aber bekehren wollte ich niemanden. Das dachte ich zumindest. Bis mein Freund zum Schinken griff. Ich konnte meinen Augen nicht trauen und dachte ich wäre im falschen Film gelandet. Je mehr er genussvoll sein Fleisch ass, und sein Vater vor Freude fast ausrastete, umso übeler wurde mir. Ich bin kein guter Schauspieler und konnte meinen Ekel, meine Enttäuschung und irgendwann meine Wut und Trauer nicht mehr zurück halten. Ich hatte keine Lust mehr an diesem Tisch einen auf „holy guacemole“ sprich heilige Scheisse zu machen und verließ das Abendessen.

Überrollt von diesen emotionalen Wellen schossen mir so viele Fragen in den Kopf. Wieso tut er das so unbedacht? Wie kann er all seine Werte über den Haufen werfen? Wie kann er ignorieren, dass ein Tier dabei draufging? Mein Freund hatte auf seinen Körper gehört, und er hatte dieses Stück Fleisch wertgeschätzt und genossen. Mit seiner Argumentation, es sei ein glückliches Schwein gewesen, konnte ich nichts anfangen. Ich habe noch nie ein Tier glücklich geschlachtet werden sehen. Auch wenn ich sehr klein war, als meine Familie damals in Bosnien die kleinen Ferkel zu Spanferkel verarbeitete, so konnte ich dieses todesängstliche Quiken nie ganz vergessen. Irgendwann war ich so weit unsere ganze Beziehung in Frage zu stellen. Kann ich mit jemandem zusammen sein, der eine yogische Verhaltensregel  (Ahimsa = Gewaltlosigkeit) nur bedingt praktizert? Eine Woche lang versuchte ich mir über diese Dinge im Klaren zu werden. Was ich dabei über mich lernte?

1. Wir haben alle Anakin Skywalker und Darth Vader in uns!

Während Yoda yogische Weisheiten raushaut und Anakin Skywalker zu Darth Vader motiert, frage ich mich immer mehr ob Georg Lucas wohl selbst ein Yogi war. Zumindest hilft mit die Transformation von Anakin zu Vader meine Licht & Schattenseiten besser zu verstehen. Aus meiner Perspektive war mein Freund von Anakin Skywalker dem Jedi Ritter zum Sith Lord Darth Vader mutiert. Für mich stand Anakin für das Leben, Vader hingegen für den Tod. Ich glaube mein Freund sah das ähnlich, nur dass ich aus seiner Sicht plötzlich zum Sith Lord mutierte, weil ich als die hart verurteilende und in der gedanklichen Trennung lebende Frau an seiner Seite, kurz davor war ihn für drei Scheiben Schinken zu verlassen.

2. DIE Wahrheit gibt es nicht.

Auch wenn die vegane Ernährungsweise für mich mehr als eine mentale Überzeugung ist, bedeutet das noch lange nicht, dass der Mensch der mir am nächsten steht das ähnlich sieht. Während es für mich gewaltlos ist gewisse Produkte nicht zu konsumieren, ist es für ihn gewaltlos seine körperlichen Bedürfnissen eben nicht zu ignorieren. Für mich war das zunächst nur eine triebgesteuerte Ausrede für mangelnde Disziplin. Irgendwann aber kam auch in mir die Frage auf, inwiefern es am Ende für ihn gewaltlos gewesen wäre, wenn er seiner inneren Stimme nicht gefolgt wäre. Vielleicht weiß der Körper doch manchmal was er gerade braucht? Egal ob es am Ende primitive Triebe oder das Hören auf den eigenen Körper waren, die da wirkten, seine Wahrheit ist seine Wahrheit und nur dieser muss er folgen. Daraus ergibt sich auch der nächste Punkt.

3. Das ist nicht dein Film, also mach’s nicht zu deinem Problem!

Egal, was mein Partner, meine Freunde, meine Familie denken, fühlen und tun, sie haben ihr recht darauf und auch wenn es mir nicht egal ist, es geht mich einfach nichts an. Jeder erlebt die Welt aus seiner individuellen Perspektive und handelt aufgrund seiner Erfahrungen und inneren Impulse und Überzeugungen. Ich hatte so sehr darunter gelitten, weil ich mich komplett mit meinem Freund identifiziert hatte. Es hatte mich so sehr verletzt, weil ich in seinem Film eingestiegen bin, anstatt in meinem eigenen zu bleiben. Je mehr ich das tat, umso mehr hatte sein Verhalten Einfluss auf mein emotionales Erleben. Mich bewusst dafür zu entscheiden, wieder auszusteigen, ohne gleich aus der Beziehung auszusteigen, hatte mir am Ende geholfen, meine Wut und Trauer zu überwinden. Es gibt Ansichten, die kann und muss ich nicht nachvollziehen und gleichzeitig muss ich sie auch nicht zu meinem Problem werden lassen.

4. Hallo innerer Kritiker, wo kann ich dich abstellen?

Ich habe definitiv meinen eigenen inneren Kritiker kennengelernt, der mich aber auch andere stark verurteilt. Alle Extreme und -Ismen schaffen diese Trennung, die Yoga zu überwinden versucht. Alle -Ismen schaffen ein Identitätsgefühl, das nur durch die Abgrenzung zu etwas anderem Bestand haben kann. So auch Vegetarismus und Veganismus. Auch wenn Identität das Gefühl von Sicherheit schafft, so geht es immer auf Kosten der Einheit. Gleichzeitig bin ich dankbar, denn mein innerer Kritiker und auch meine ignorante Seite zeigen mir, welche Wesensanteile in mir ich noch nicht ganz integriert habe. Mein Freund konnte ohne Reue, ohne dogmatische Identitätskrise und ohne diktatorischen inneren Kritiker den Schinken genießen. Ich konnte nicht darüber stehen und lachen, ich konnte es ihm nicht mal gönnen. Wahrscheinlich weil ich es mir selbst kaum verzeihen könnte, wenn ich meine eigenen ethischen Werte verraten hätte.

Cowspiracy - the sustainability secret

Cowspiracy – the sustainability secret

Go easy on yourself

Es gibt genug Filme da draußen, die auf neutrale Weise informieren, wieso die vegetarische und vegane Ernährung für unsere Welt gerade besser wäre. Cowspiracy z.B. kommt ohne erschreckende Bilder aus und ist eine gut recherchierte Dokumentation zu unserer Ernährung und ihren globalen Auswirkungen. Aber allein schon weniger tierische Produkte zu konsumieren kann bereits ein Schritt in die richtige Richtung sein. Es geht hierbei aber gar nicht nur um diese ethische Frage. Es geht vielmehr darum, seine eigene Wahrheit zu leben und dennoch in der Akzeptanz und Selbstliebe zu bleiben, wenn man selbst oder jemand anders dieser Wahrheit mal nicht gerecht wird. Egal wie sehr wir in unserer bewussten Lebensweise gefestigt sind, ist es genau so wichtig ohne Reue mal eine Pizza zu essen, Trash TV zu schauen, oder mal auf einer Party völlig auszurasten – ohne schlechtes Gewissen, ohne dogmatischen, inneren Kritiker, ohne Moralpredigt.

Wenn ich das nächste Mal so richtig Lust auf Pizza mit Käse habe, werde ich versuchen drüber zu lachen und hoffentlich genüsslich eine essen können. Wieso? Weil Ausnahmen die Regel bestätigen und ich mich in Selbstliebe und Akzeptanz übe, wenn ich mal nicht ethisch korrekt handele und mich dennoch annehme. Bis dahin gibt’s weiterhin veganes Soulfood und bestimmt bald die nächsten Dirty Shadows. Weihnachten ist doch immer eine super Zeit, um sich mit seinen Liebsten und diesen gruseligen Schattenseiten zu versöhnen.

Enjoy, was auch immer du isst!

Eure Ela

Pssst: Was sind die Dinge die dich triggern? Hast du selbst Dirty Shadows, die durch deine Liebsten zum Vorschein kommen? Dann schreib uns doch einen Kommentar. Wir freuen uns <3

 

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