Warum es gut tut, ein Aussteiger zu sein!
Slow down everyone, we’re moving to fast! Mit diesen Worten appelliert der surfende Singer Songwriter Jack Johnson schon vor Jahren an die Kunst der Entschleunigung. Leichter gesagt als getan. Gerade für die produktiven Macher-Menschen da draußen, die sich so gerne durch das, was sie alles tun und leisten, definieren. Ich gebe zu, ich gehöre auch zu dieser Gattung Mensch und genauso schwer fällt es mir trotz Yoga, Meditation und all dem theoretischen Wissen der Beschleunigung unserer Zeit zu entkommen. Dabei tut es doch so gut zwischendurch aus dieser Leistungsgesellschaft auszusteigen. Sich einfach treiben zu lassen, in der Natur zu sein, oder sich vom Reiseflow zurück in den Moment tragen zu lassen, ohne zu wissen was als Nächstes passiert. Wieso Zeit relativ ist, warum wir uns selbst aus dem Paradies sprich dem Moment schmeissen, und was uns dabei hilft, zurück zu finden, erfährst du in diesem Artikel.
Leistungsgesellschaft – Die Flucht vor dem Augenblick
Als ich vor zwei Wochen in einer schamanistischen Zeremonie saß und Zeit hatte mein „Ich“ zu beobachten, entdeckte ich ein Muster, das auch mein alltägliches Leben immer wieder sabotiert. In mir gibt es diesen Impuls im Geiste dem Moment immer einen Schritt voraus zu sein. Als wäre der Augenblick, so wie er ist, nicht gut genug, sehnt sich mein Verstand in eine bessere Zukunft. Statt also da zu sein, wo ich gerade bin, projektiere ich mich in den nächsten Moment hinein und finde mich ständig in diesem „Wartemodus“ wieder.
Es ist wie mit den Vorsätzen, die wir jedes Jahr machen, oder mit den Wünschen und Zielen, die wir uns setzen. Klar, ohne Ziele und Visionen würden wir nicht wissen, welche Richtung wir unserem Leben geben sollten. Das Problem ist allerdings, dass der Verstand, genau dann, wenn wir scheinbar ankommen, mit großer Wahrscheinlichkeit wieder einen Schritt voraus sein wird, oder bereits neue Ziele anvisiert hat. Wenn also dieser besagte Moment, auf den wir gewartet haben, da ist, sind wir nicht mehr da, um ihn wirklich mit allen Sinnen wahrzunehmen. Mit diesem Muster erlauben wir uns also weder den Weg hin zum Ziel zu genießen, noch erlauben wir uns glücklich zu sein, wenn das einst so erstrebte Ziel Realität geworden ist, weil es von zehn neuen Punkten auf unserer Wunschliste überschattet wird. Wie kommen wir also zurück in den Moment? Oder besser, wie verlangsamen wir zunächst einmal unser Wahrnehmung der Zeit und wodurch wird unserer subjektives Zeiterleben bestimmt?
Das subjektive Zeit-Paradoxon
Während wir als Kinder das Gefühl haben, die Zeit verginge langsam, rast sie je älter wir werden umso schneller an uns vorbei. Wie bereits William James 1890 feststellte, ist die Wahrnehmung der Zeit von der Intensität des Erlebens selbst abhängig.
„In general, a time filled with varied and interesting experiences, seems short in passing; but long as we look back. On the other hand, a tract of time empty of experiences seems long in passing, but in retrospect short.“ -William James
Wenn wir beispielsweise reisen oder etwas Neues lernen, dann sind das intensive und eindrucksvolle Erfahrungen, die uns komplett absorbieren und uns das Gefühl geben, die Zeit verginge wie im Flug. Rückblickend hinterlassen genau diese Erlebnisse bei uns ausgeprägte Gedächtnisspuren. Die erlebte Zeit kommt uns lang vor. Wenn wir hingegen beim Arzt warten und einfach nichts besonderes geschieht, dann scheint genau diese Zeit im subjektiven Empfinden ewig zu dauern und „lang“-weilig zu sein. Sie hinterlässt dabei aber keine nennenswerten Erinnerungen, auf die wir zurückblicken können. Wenn die erfahrene Zeit „kurz-“weilig erlebt wird, wird die Zeit in Erinnerung lang. Ist sie dagegen langweilig, schrumpft die Erinnerungszeit. Dies gilt zumindest für die real erlebten Ereignisse. Ein zuwiderlaufendes Phänomen lässt sich beim Medienkonsum feststellen, das Ariane Barth als Fernsehparadoxon beschreibt.
Das Fernsehparadoxon – Medien als Zeitfresser
Wenn wir einen Spielfilm schauen, der uns emotional und körperlich mitreisst, verfliegt die Zeit wie nichts. Der Film selbst hinterlässt aber keine nennenswerten Erinnerungen, da die Erfahrungen entsinnlicht und dekontextualisiert sind. Die Sinneskanäle Sehen und Hören reichen nicht aus, da gerade Gerüche und taktile Empfindungen für die Langzeiterinnerung von Bedeutung sind. Vorallem aber weil das digitale Geschehen auf dem Bildschirm sich kaum in einen narrativen Lebenskontext einbringen lässt, erscheint die Zeit uns im Rückblick ereignisarm. Gerade durch unser digitales statt analoges Leben, schlagen wir unsere Lebenszeit förmlich tot. Anstatt auf dem Bolzplatz zu spielen, schießen Kids mit virtuellen Spielfiguren auf virtuelle Bälle und trainieren damit höchstens die Reaktionsfähigkeit ihrer Daumen. Aber wir „Erwachsenen“ leben den Kindern mit unseren Smartphones häufig nichts besseres vor. Die Medien sind beides, ein Fluch und ein Segen. Je nach dem wie bewusst wir sie nutzen bzw. wie viel analoge Zeit sie uns kosten, können sie uns verbinden oder von einander entfernt halten. Sie können uns Zeit einsparen, oder zum Zeitfresser mutieren.
Same old shit, just different day, denn täglich grüßt das Murmeltier!
Meine bisher erinnerungsreichsten, intensivsten und lebendigsten Jahre waren die, in denen ich auf Reisen war oder etwas Neues wie z.B. Surfen oder Yoga vertiefte. Denn auch der analoge Alltag mit seinen gewohnten Routinen, die durchaus vorteilhaft sein können, kann uns abstumpfen und einschlafen lassen. Ich habe mich mal dabei erwischt, wie ich komplett geistesabwesend zum Yoga gefahren bin, um nach 15 km Autobahnfahrt erschrocken festzustellen, dass ich plötzlich vorm Studio stand und mir die gesamte Fahrt entgangen war. Seit dem versuche ich öfter in diesen „Wartezeiten“ bewusster zu atmen, übe mich im Nicht-Denken oder suche neue Routen. Sobald wir nämlich in unbekanntes Terrain treten, müssen wir achtsamer und wacher sein. Gewisse Routinen tun uns gut und geben unserem Leben Rhythmus und Stabilität, aber genauso wichtig ist es, sich neuen Reizen auszusetzen und täglich etwas Neues zu lernen.
Zurück in die Gegenwart – Be, here, now!
Statt sich in den digitalen Welten oder in seinen eigenen gedanklichen Kopfkinos zu verlieren, können wir auch schlichtweg da sein, wo wir gerade sind. Selbst die Zeit, in der wir scheinbar warten, kann zu einer Art Meditation werden, wenn wir beginnen den Moment mit allen Sinnen wahrzunehmen und lernen wirklich präsent zu sein. Je mehr sich die Aktivitäten des Verstandes beruhigen und sich unsere Sinne schärfen, umso mehr nehmen wir die pulsierende Lebendigkeit in und um uns herum war. Wir hören plötzlich wieder das Pfeifen des Windes, spüren die Erde unter den Füßen und nehmen die Wärme und Geborgenheit einer Umarmung wahr. Anstatt nach immer extremeren Reizen zu suchen, die uns lebendig fühlen lassen, können wir auch einfach unsere Wahrnehmung sensibilisieren, um das Jetzt mit all seiner Intensität tiefer zu erfahren.
„Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen. -Michael Ende (Momo)
Zeit kann man nicht verlieren, man kann sie lediglich bewusst erleben oder eben nicht!
Die Erfahrung der Zeit hat nichts mit unserem Alter zu tun, sondern vielmehr mit unserer Fähigkeit den Augenblick mit all seiner Tiefe wahrzunehmen. Kinder entdecken die Welt jeden Tag neu, sie lernen sich immer mehr in ihr zurecht zu finden und haben diese instinktive Neugier, die ihr Leben so erfahrungsreich und bunt macht. Das Alles ist keine Frage des Alters, sondern vielmehr eine Sache der inneren Bereitschaft und Offenheit.
Jetzt ist immer der beste Augenblick, um auszusteigen!
Zugegeben, all dies schreibe ich, um euch und vor allem meiner Familie zu verdeutlichen, wieso ich zwischendurch immer wieder aus dem „normalen“ Leben aussteige. Ich sitze gerade im Flieger nach Südamerika, während ich diese Zeilen schreibe. Bis Ende März reisen wir durch Peru und Ecuador und sammeln dort vor allem viele analoge Eindrücke. Wieso? Weil es uns zurück in den Moment bringt, uns nährt und lehrt, uns inspiriert und erfüllt, unser Herz öffnet, uns mit den Menschen um uns herum und mit Pachamama verbindet. Weil wir am Ende doch nichts mitnehmen können, als vielleicht unsere Eindrücke und Erfahrungen. Weil das Leben ein ewiges Lernen und Expandieren ist, wenn wir es uns erlauben und es sich einfach so unglaublich gut anfühlt!
Und JETZT Du?!
Hast du das Gefühl, dass die Tage nur so an dir vorbei rasen? Dann gönne dir eine digitale oder auch analoge Auszeit. Fahre irgendwo hin, wo du noch nie warst und du dich nicht auskennst. Verbringe mehr Zeit in der Natur, sei spielerisch, kreativ, singe, tanze, lerne ein neues Instrument oder verbringe qualitative Zeit mit deinen Liebsten. Schenke dir Erfahrungen statt Dinge! Mache eine Yogalehrerausbildung, oder vertiefe dein Wissen in den Bereichen, die dich interessieren. Fahr auf ein Festival, schenk dir einen Wochenendworkshop oder ein Yoga Retreat und verbinde dich mit dir selbst, anderen und der Natur. Ließ ein gutes Buch, oder höre Musik, die dich berührt, oder geh zum Yoga! Spür hinein und folge deinem guten Gefühl. Sei Produzent statt Konsument deines Lebens und hör auf zu glauben, dass der richtige Moment noch nicht gekommen ist. Wenn wir wirklich da sind, dann stellen wir nämlich plötzlich fest, das jeder Augenblick der Richtige ist, nur wir bisher noch nicht ganz da waren, um das in seiner Ganzheit wahr zu nehmen.
Enjoy,
Ela
Pssst: Wie gehst du mit der Schnelllebigkeit unser Zeit um? Was bringt dich in den Moment? Was gönnst du dir dieses Jahr? Wir freuen uns über deinen Kommentar!
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